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Donnerstag, 08 Juni 2023 10:28

... und am Ende habe ich doch recht...

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Es ist natürlich, recht haben zu wollen, besonders wenn wir das Gefühl der Ohnmacht kennen. Ein Recht auf unsere Empfindungen habe wir ja und es ist wichtig, sie zu erfahren. Auf Dauer führt das Rechthaben nur in eine Sackgasse, in die unsere Welt immer wieder hinein steuert.

 

DSC Clown Blaunase KLIn der Schule war ein Junge in unserem Jahrgang – Robbins hieß er mit Nachnamen – ich meine, er hieß mit Vornamen Michael. Ich stand ihm nicht sehr nah, nur in einem: Er kannte und sang alle Bob Dylan-Lieder der Zeit - auswendig. Ich mochte Dylans Art, die Komplexität der Wirklichkeit und die menschlichen Widersprüche gewitzt und einfach auszudrücken. Er löste sie nicht. Er machte auf sie aufmerksam. Ich kaufte auch die Texte, denn sie sprachen direkt zu mir, so wie zu so vielen Menschen der Zeit.

 

Ich finde sie nach wie vor gültig, so schwer sie manchmal zu verdauen sind.

Unter anderem war dabei:

"Half of the people can be part right all of the time
Some of the people can be all right part of the time
But all of the people can't be all right all of the time
I think Abraham Lincoln said that
I'll let you be in my dreams if I can be in yours
I said that“

Bob Dylan: Talkin’ World War III Blues

 

Meine Frau sagt oft: „Ich mag nicht immer recht haben, aber am Ende liege ich nie falsch.“ Wenn ich mich danach richte, liege ich bei ihr auch nie falsch und manchmal gar richtig.

 

Ich muss auch noch an den Grundsatz von der Bildzeitung denken, den Günther Walraff herausfand, als er verdeckt dort arbeitete: „Erst Verwirrung stiften, dann aufklären“. Daher habe ich den Werbespruch: „Bild Dir Deine Meinung“ immer so verstanden: „BILD – Dir Deine Meinung“. Die Bildzeitung hat keine Meinung, sie gibt nur der Leserschaft ihre Meinung an sie zurück, so dass sie sagt: „Habe ich doch recht gehabt. Hier steht`s!“

Wir würden so gerne immer recht haben und recht behalten, vielleicht gerade weil wir uns oft so machtlos fühlen. Das Gefühl zu haben: „Es hört mir niemand zu“ ist nicht nur eingebildet. Und wir haben das Recht auf unsere persönliche Erfahrung und Sichtweise. Nur führt sie oft dazu, die Welt in „gut und schlecht“ bzw. „gut und böse“ so aufzuteilen, dass der Eindruck entsteht: Man brauche nur das „Schlechte“ zu „besiegen“, „abschaffen“, ausgrenzen, ausmerzen, ausrotten… (die Ausdrucksweise steigert sich je nach Grad des gerechten Zorns und der Hilflosigkeit), dann wäre „alles gut“. Und führt dies in die Katastrophe, kann man immer sagen (falls es ein „Nachher“ gibt), „Ich war schon immer dagegen“.

 

Gerade ein heilsamer Humor orientiert sich daran, einmal den offenen Spielraum zu schaffen, den wir als Menschen zum Atmen brauchen, als auch die Fähigkeit, menschliche und faktische Widersprüche einander gegenüberzustellen. Erst dann können wir darüber lachen und die Freiräume entdecken, die wir zur Lösung brauchen. Um Widersprüche zu lösen, müssen wir unsere Sichtweise erweitern, und anerkennen, dass wir nicht alles sehen, nicht alles sofort begreifen oder ausschließen können. Ein Clown löst Widersprüche nicht. Er genießt sie und findet neue Spielräume.

Mit herzlichen Grüßen für einen humorvollen Alltag, David Gilmore