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Dienstag, 16 Juli 2024 07:09

Von der Mücke zum Elefanten

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Von den Grundlagen des Clownspiels können wir fürs Leben so viel lernen. Es geht dabei um so viel mehr als darum, sich zu verkleiden und eine rote Nase anzuziehen. Dies verlangt aber die Bereitschaft, nicht nur den Freiraum zu beanspruchen, sondern sich auch konsequent den "Regeln" der Komik hinzugeben.
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vor vielen Jahren war ich Mitglied beim Schachklub Kreuzberg in Berlin und spielte sogar eine kurze Zeit im Team mit. Ich las viele Schachbücher und studierte Eröffnungen. Dennoch gab es einige im Klub, die nur widerwillig mit Mitgliedern wie mir überhaupt spielten. Wir waren keine gleichwertigen Gegner. Bei einer Partie mit mir ging es ihnen wahrscheinlich, wie es mir ging, wenn ich mal versuchte, jemand das Schachspiel beizubringen.

Bei meinen morgendlichen Überlegungen kam mir dies in den Sinn und es tauchte der Gedanke auf: Beim Schachspiel geht es von Anfang an darum, sich intensiv damit zu beschäftigen, worum es gerade genau geht und sich dem zu stellen. Anfänger bewegen nur die Figuren und sind überrascht, dass das Spiel sehr bald zu Ende ist, ohne verstanden zu haben, worum es eigentlich ging.

Wenn jemand bei mir auf die Bühne geht, geht es ihnen manchmal ähnlich: Sie haben viele Ideen darüber, was witzig wäre oder „was ein Clown macht“. Sicherlich haben sie Humor und lachen gerne. Auf der Bühne aber herrschen Gesetzmäßigkeiten und auf der Clownbühne vielleicht noch mehr. Kein Wunder, dass es einem dabei oft mulmig wird. Spannend wird`s auf jeden Fall.

Diese Gesetzmäßigkeiten sind keine „Regeln“ oder ein allein von mir erdachtes „Diktat“. Sie orientieren sich allein an unseren Seh- und Orientierungsgewohnheiten und an der allgemeinen Dynamik der Komik. Diese bleiben sich gleich, auch wenn der Inhalt (worüber wir lachen, was uns gerade erheitert) so verschieden und wechselhaft sein kann, wie es Menschen gibt. Wir alle wollen die Kontrolle behalten. Die Gesetzmäßigkeiten von Bühne und Komik aber „zwingen“ uns dazu, uns hinzugeben und sie zu akzeptieren. Wenn nicht, erstickt das Lachen im Keim.

Diese „Richtlinien“ kennenzulernen und sie zu verkörpern, ist nicht allein für den Gang auf die Bühne essenziell, sondern beeinflussen, wie wir auch sonst mit uns umgehen. Deshalb wird es erst witzig, wenn jemand bereit ist, sich auf eine Bewegung und auf die damit verbundene Emotion einzulassen, als wären sie das Einzig Wahre. Das dies komisch sein muss, erkennen wir gerne und sofort bei anderen. Denn das Absolute ist nie wahr. Wenn jemand dies so sieht, ist dies entweder zum Lachen. erzeugt Entsetzen oder schafft Anhänger, die dies gerne glauben wollen, egal wozu dies führt. Bei uns selbst ist dies oft peinlich und nicht in unserem Sinne. Wir wollen ja, ernst genommen werden und kontrollie
ren uns daher automatisch. Das hindert uns daran, uns der Komik und dem „Spiel des Lebens“ hinzugeben.

Wenn wir uns erlauben, „aus einer Mücke einen Elefanten zu machen“, erleben wir einen Grundwitz, besonders dann, sowohl wenn diese Mücke uns besonders „heilig“ erscheint als auch wenn wir ihr keine Beachtung schenken. Wenn wir auf der Bühne „dem Faden folgen“ lernen, kann aus einem „Bauchgefühl“ ein ekstatischer Moment werden; aus einer Schimpftirade eine Selbstzufriedenheit. Aus dem Versuch, schlank durch das dauerhafte Einziehen des Bauches zu werden, liegt eine Niederlage durch den nicht aufzuhaltenden Wiederkehr der bekannten wohligen Wölbung nah. Aus dem Erleben des bekannten umfassenden Gefühls, peinlich zu sein, kann durch die bewusste Wiederholung eine gewisse Erleichterung entstehen – besonders dann, wenn das Publikum wohlwollend applaudiert.