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Sonntag, 27 März 2022 10:52

Freiraum und Humor

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Die besondere menschliche Qualität, die wir Humor nennen, ist leichtfüßig daher und dennoch komplex. Viel wesentlichlicher als die Mechanik der Komik, ist der Kontext, in dem sie entsteht. Zentrale Voraussetzung dafür ist das, was ich Freiraum oder Spielraum nenne.

Nase 5 KLWenn ich einfach beobachte und darüber sinniere, in welchen Zusammenhängen Menschen lachen, komme ich immer wieder darauf, dass die Voraussetzung dafür eine Art "Wohlfühlraum" ist. Am sichtbarsten ist dies, wenn wir Menschen beobachten, die einfach zusammensitzen. Sobald sie Kontakt aufgenommen haben und feststellen, das sie sich miteinander warm werden, fangen sie an, miteinander zu lachen. Es macht nichts, wenn die Begegnung bei einem ersten Blickkontakt und einer anscheinend belanglosen Bemerkung bleibt. Viel deutlicher ist dies, wenn man erlebt, wie offensichtliche Freunde miteinander umgehen. Es vergeht kaum Zeit und schon lachen sie miteinander. Sie müssen dafür kein Training und keine Seminare belegt haben. Es scheint "von alleine" zu geschehen.

Gerade dadurch zeigt sich hier ein wesentlicher Faktor für den Humor: Den wohlwollenden Zusammenhalt, der einen selbst bestätigenden "Wohlfühlraum" entstehen lässt. Keine/r der Personen muss die eigene Anwesenheit erklären oder rechtfertigen. Das hat sich schon im Vorfeld geklärt. Man hat auch Zeit genommen, miteinander zu sein. Es ist niemand in Eile. Falls doch wird auch dies wohlwollend entgegengenommen "Schade, dass Du so früh gehen musst" - ein anderes Mal dann. Bis bald". Gerade die Selbstverständlichkeit und Normalität eines solchen Ablaufs verrät den Freiraum als grundsätzlicher Faktor für die Qualität "Humor". Selbst wenn es Unterschiede zwischen den anwesenden Menschen gibt, werden sie als Teil einer unterhaltsamen Spannung akzeptiert, die diesen Freundeskreis für alle interessant macht und auch Einzelne als Teil des Ganzen erleben, ob sie besonders aktiv oder gar eher teilnehmende Beobachter sind. Niemand stört und alles tragen mit ihrer Anwesenheit zum Gruppenvergnügen bei. Ernst wenn die Bedienung kommt, kommt ein gewisser Ernst auf, denn man will doch das bekommen, was man bestellt. Doch tut das der allgemeinen Fröhlichkeit keinen Abbruch. Man versucht sogar die Bedienung in die allgemeine Heiterkeit hineinzuziehen. Zu den Fertigkeiten einer guten Bedienung gehört die Fähigkeiten, in die Stimmung einzustimmen und dennoch alle Bestellungen korrekt aufzunehmen. Das zeigt sich spätestens beim Bringen der bestellten Speisen und Getränke. Stimmt alles, stärkt es die vorhandene Stimmung. Stimmt etwas nicht, kann dies bis zum einen gewissen Grad mitgetragen werden und schnell korrigiert. Gar ein Mißgeschick kann mit in die ausgelassene Stimmung aufgenommen werden. Diese Stimmung stellt einen Freiraum her, in dem die TeilnehmerInnen vieles einfach "witzig" finden und als Anlass zur Fröhlichkeit. Dazu gehört die gegenseitige Bestätigung, die eine solche Gruppe schon mitbringt, die ich "Angleichen" nenne.

Genauso sehe ich die Entstehung von einem humorvollen Freiraum als Einelne/r. Um etwas als witzig zu erkennen, brauchen wir eine ähnliche Übereinstimmung in uns wie in dieser oben beschriebenen Gruppe. Darin ist die Fähigkeit enthalten, entweder die Faktoren für das eigene Wohlgefühl praktisch herzustellen oder ein Wohlgefühl im Äußeren oder im Inneren von uns aus zu erkennen. Je feiner diese Fähigkeit im einzelnen Menschen entwickelt ist, um so besser kann er oder sie auch mit Unstimmigkeiten umgehen. Das Grundgefühl in Ordnung zu sein, regelt hier die Grundstimmung. Dies kann durch die gelernte Erfahrung in der Herkunftsfamilie sein oder durch eine bewusste Praxis entstehen und gepflegt werden. Gür manche Menschen ist dies so selbstverständlich, dass sie keine Zeit verschwenden, darüber nachzudenken. Wer das Gegenteil erlebt hat, verbringt oft mehr Zeit damit, heraus zu finden, was einen wirklich freut und wie tief diese Freude verankert sein muss, um sich wirklich wohl zu fühlen.

Gerade der Umgang mit dem Unwohlsein, sehe ich als entscheidend für die Entwicklung dessen, was ich "lösenden Humor" nenne. Wenn ich mich erst dann wohlfühle, wenn ich immer das bekomme, was ich will oder alles so ist, wie ich es gerne haben möchte, ist mein Wohlsein von äußeren Rahmenbedingungen abhängig. Das kann das Wetter sein, das kann die Gesundheit sein, das kann das Bankkonto sein. Natürlich sind solche "Äußerlichkeiten" enorm wichtig für das Wohlsein. Enorm wichtig ist aber auch dann, für die richtige Kleidung zu sorgen, für Beziehungen und Kontakte und auch für die Hilfe zu sorgen, um Lösungen zu finden. Das Unwohlsein kann diese rettenden Fähigkeiten mindern, uns deprimieren, müde, hoffnungslos  und passiv werden lassen. Schon die Erfahrung, von anderen Menschen in einer solchen Situation wohlwollend in ihre Reihen aufgenommen zu werden, kann die Lebensgeister wieder heben, wenn dies ohne Bevormündung geschieht.

 

Wohlfühlen, sich frei fühlen und Spielraum entdecken, gehören zusammen. Sie helfen, sich selbst näher zu fühlen und eine gegenwärtige Situation aus einem gewissen Abstand zu sehen. Ich sehe den Innenraum eines Menschen oft in diesem Zusammenhang als eine Art Waage: Wenn wir ausreichend Bestätigung als Menschen bekommen habe, so dass diese Botschaft in uns gut veränkert ist, können wir einiges an Widrigkeiten durchstehen und nehmen an, dass wir auch in schwierigen Situationen etwas unternehmen können. Dann wiegt diese Seite das Andere auf und wir sind in der Lage damit umzugehen. Dann können wir Krisen als "Herausforderung" ansehen. Wenn das Gewicht auf Erlebnissen von Defiziten und Entbehrungen beruht, können andere Menschen uns erheitern wollen, so sehr sie möchten: Wir werden sogar dafür sorgen, dass alle Wohltaten oder freudige Ereignisse letzten Endes verpuffen.

Die Erfahrung und die Pflege eines freien Spielraums ist für einen gelösten Humor essentiell. Es lohnt sich, dafür einzusetzen.