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Wissenschaftliche Arbeiten über Person und Tätigkeiten von David Gilmore

1. Kathrin Peters Bachelorarbeit - Hochschule Osnabrück-University of Applied Sciences - Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften: Bachelorstudiengang Soziale Arbeit
Titel: Der Weg zum Clown – der Weg zu mir (Untersuchung der Fortbildung: „Die Kraft des Lachens - Humor und Gesundheit"
bei David Gilmore in Bezug auf Persönlichkeitsveränderungen bei den Teilnehmenden im Alltag und Beruf.

bachelorarbeit Kathrin Peters gilmore kl

2. Nicole Frank Hausarbeit Humorgruppe - "Lachen nicht ausgeschlossen" - Clowneskes Improvisationstheater im Kontext Sozialer Arbeit.

Lachen nicht ausgeschlossen Nicole Frank kl

3. Hannah Saueschell Masterarbeit - Universität Erfurt – Sommersemester 2015 - Erziehungswissenschaftliche Fakultät: Fachgebiet für Sonder- und Sozialpädagogik im Studiengang ‚Sonder- und Integrationspädagogik‘. "Der Clown in der Begegnung mit Menschen in besonderen Lebenssituationen".

Masterarbeit Hannah Sauerschell kl

4. Interview von Ronja Rienecker mit David Gilmore für Ihre Bachelor-Arbeit.

Artikel von David Gilmore

Hier können Sie einige Artikel von David Gilmore lesen. Sie dienen als vertieften Einblick in seine Arbeit als Clown, Narr, Theater- und Humortherapeut. Alle Artikel unterstehen den Copyright-Gesetzgebung und dürfen weder teilweise noch ganz zitiert noch ab gedruckt werden ohne vorherige Absprache und schriftliche Erlaubnis des Autors.

 

Humor – ein Zeichen wahrer Freiheit
Über die heilsame Wirkung des Humors und der Kraft des Lachens

Für das Jahrbuch 2013 von Humorcare Deutchland e.V.
30. April 2013
Artikel Humorcare Endfassung.pdf

Heyoka!


Eine Vision

Eines Nachts saß ich einmal in einem Krater auf Lanzarote in einem Steinkreis. Ich war auf Visionssuche, einem Ritual der amerikanischen Indianer. Es ging mir dabei um meine Bestimmung, und darum bemühte ich mich, die ganze Nacht zu wachen, ohne einzuschlafen. Ich war nackt und fühlte mich dabei wohl und völlig zufrieden, an diesem Ort zu bleiben und nichts anderes zu tun, als da zu sein. Danach habe ich ein Bild gemalt, vor dem ich oft sitze, um mich an meine Entscheidung von damals zu erinnern. Ein Mann sitzt ruhig und nackt in einem Steinkreis, umgeben von der Natur, von Tieren, und mit einem Stab in der Hand. Dieses Bild strahlt für mich noch heute das Gefühl aus, das ich damals empfand. Das Bild stellt für mich den Weg als Heiler und Wandler dar, der verbunden ist mit der inneren und äußeren Natur.

Als ich zum ersten Mal von dem Heyoka (Heyoehkah) hörte, sprach er mich besonders deswegen an, weil er in einer bestehenden (Indianer-)Kultur eingebunden ist. Das ist es, was mir am meisten gefehlt hat und was ich als Spieler, Lehrer und Heiler verwirklichen möchte. Die Hopi-Indianer haben tatsächlich sogar vier verschiedene Clown-Clans. Diese haben traditionsgemäß drei Aufgaben: Sie sind die Stimmungsmacher im Stamm, die alle mit Possen zum Lachen bringen; sie sind die Lehrer und Erzieher der Kinder durch Spiel; sie dürfen sich über Heilrituale, Heiltänze, überhaupt alles, was heilig ist, und das Verhalten der Stammesmitglieder lustig machen. Der Heyoka erschafft dadurch Ordnung, Frieden, Gesundheit und Verbundenheit, wandelt die Energie und ist Freund und Spiegel, ein echter Verbündeter für die Mitglieder der Gemeinschaft. So möchte ich sein.

Der Heyoka (Heyoehkah) – Der Narr als Wandler und Verbündeter

In die Tradition der nordamerikanischen Indianer eingebunden, ist der Heyoka (Heyeohkah) nicht nur der Clown, auf den sich Erwachsene wie Kinder wegen seiner Possen, seiner absurden Kleidung, seiner komischen Gesichter und seines grenzsprengenden Spieles freuen. Er ist auch der universelle, weise und wohlwollende Narr, der zugleich Spieler, Schamane und Lebenslehrer ist. Er lehrt den Fluß des Seins.

Der Clown ist seiner sozialen Stellung nach sowohl ein Zugehöriger der Dorfgemeinschaft, als auch ein von ihr Ausgeschlossener. Bei den Sioux war die Position des Heyoka dadurch bestimmt, daß ihm die höchste aller Visionen, nämlich die des Donnerwesens, zuteil wurde. Ihm wurde dadurch eine höhere Einweihung zuteil als dem Medizinmann oder Tierpriester, wie zerlumpt der Clown auch herumlief. Von allen Stammesmitgliedern bekam er Respekt.

Aufgrund seiner Vision hat der Clown jede Angst vor Schuld, Strafe und Isolation überwunden, wie auch vor Schmerzen, Krankheit und Tod. Im Schöpfungsmythos der Jicarilla-Apachen war es der Trickser, der die Menschen aus dem Dunkel der Erde ans Licht der Sonne führte. Mit seinem entsetzlichen, unmenschlichen Lachen soll er dabei alle Krankheiten vertrieben haben.

Alles, was er in seinem Spiel tut, zielt darauf ab, die Menschen zum Lachen zu bringen, damit sie sich selbst spüren und von festgefahrenen Einstellungen und Konzepten loslassen. Er dreht die Rituale um oder übertreibt sie maßlos. Er tut alles, um die Selbstgefälligkeit und Vorurteile seiner Mitmenschen aufzudecken um mit Lachen zu heilen und zu ermutigen.

Er ist der unachtsame, heillose Freßsack, der ”Hanoclown” der Hopi-Indianer, der ohne Manieren und mit viel Genuß Wassermelone und was er sonst noch kriegen kann, in sich stopft. Er stolpert über die eigenen Füsse. Er ist einfältig und naiv und posaunt seine Ängste und seine Meinung in die Welt hinaus.

Er ist der Ausdruck körperbetonter Lebendigkeit, - einer, der handelt. Einer, der auf seine Spontaneität und seine Liebe zum Extremen vertraut. Er kennt die Angst und geht auf sie zu. Er hat den Mut, fassungslos dazustehen und sucht in der Katastrophe die Lösung.

Er kann in die Welt der Anderen steigen, in ihre Verbohrtheiten und Verrücktheiten. Er mimt sie liebevoll und bringt selbst den Leidenden dazu, über das eigene Leid zu Lachen. Er bringt das Lachen und die Lebenslust und festigt das natürliche Sein und die Verbundenheit im Stamm zum Göttlichen. Er hilft abwegige und unverbundene Einstellungen zu bannen und wird als Wandler, Verbündeter und Vermittler zwischen den Welten angesehen.

Eine ganze Menge Narren und Clowns

Hier präsentiert David Gilmore einige seiner Schüler und Schülerinnen in Form von kleinen Geschichten, die zeigen, wie die entwickelte Clownfigur aus dem persönlichen Material entwickelt wurde und als Lebenshilfe für den Menschen diente. Alle Geschichten sind schon mit dem ausdrücklichen Einverständnis der hier Beschriebenen im Newsletter veröffentlicht worden.

Vom disziplingetriebenen zum triebgesteuerten Waschlappen

Der Weg zur Clownfigur kann ein Weg durch die vielen Aspekte der eigenen Persönlichkeit werden.

Und die ist oft voller Widersprüche, die einen selbst (und vielleicht andere) zur Verzweiflung treiben können. Deshalb sucht man die Komik und das Spiel.

Ich muss an einen Mann denken, der inzwischen viele sehr gute Entscheidungen getroffen hat und sein Leben gerade durch das Clownspiel erweitert und herausgefordert hat.

Als ich ihn kennen lernte, war er erfolgreich, unabhängig und total unzufrieden mit sich. Ein wichtiger Gegensatz stellte sich im Spiel heraus: Einerseits war er diszipliniert und unerbittlich hart zu sich selbst und baute seinen erwählten Beruf als reisenden Verkäufer mit viel Einsatz und Herzblut aus, andererseits war er ein Waschlappen. Er war so nett und verständnisvoll, dass er in Beziehungen und in Freundschaften einfach nicht "nein" sagen konnte. Im ursprünglichen Beruf war er Sozialarbeiter.

Mit Armeehelm und gestählter Haltung, marschierte er und schrie: "Disziplin!" als ob er die ganze Welt zur Ordnung rufen wollte, die in seinen Augen ein Bild des Chaos abgab. Er selbst sollte als leuchtendes Beispiel dienen. Er sah dabei fast wie Mussolini aus. Er wusste allerdings nicht, abgesehen von Disziplin, was er wollte.

Und das zeigte sich in einem anderen Spiel, bei dem eine Frau ihn richtig wie ein Waschlappen aufgriff. Er ließ es über sich ergehen. Die Frau hatte ihn - im wahrsten Sinne des Wortes - in der Hand. Und in dieser Tradition konnte er aussehen, als ob ihm die meisten Gehirnzellen abhanden gekommen wären, verlor jeden Halt, körperlich wie moralisch. Er konnte vor Scham rot werden oder mit obszönen Andeutungen anderen die Röte ins Gesicht treiben. Dabei war und ist er im höchsten Masse ein moralischer Mensch.

Der Wechsel zwischen den beiden Extremen war verblüffend und komisch zugleich. Er war selbst verblüfft und musste immer wieder über sich lachen. Eine Triebfeder in seiner Entwicklung war entdeckt.

So hab`i mei` Lebe`it vorgstellt!

Seit 1983 begleite ich viele Menschen, die in unterschiedlicher Weise den Clown und den Narren als entscheidende Anregung und praktische Hilfe zu neuen Lebenswegen genutzt haben.

Gerne denke ich dabei an eine Teilnehmerin, die im Laufe der letzten 10 Jahre viele "Narrensprünge" getan hat. Einmal ging sie bei einer Übung auf die Bühne, nahm sich einen Schemel, setzte sich darauf und wusste nichts anderes zu tun, als auf dem Schemel zu sitzen und zu warten.

Sie trug eine alte Hose mit Hosenträgern, ein kariertes Hemd und hielt eine Handtasche vor sich, als ob sie sich an ihr festhielte. Sie atmete ab und zu schwer durch. Nach einer ganzen Weile fragte ich sie als Regisseur, wie es ihr ging. Da sagte sie auf schwäbisch: "So hab`i mei` Lebe`it vorgstellt!" Alle Teilnehmer mussten lachen.

Das war zunächst nicht komisch gemeint. Oft ist es so, dass das Komische erst von außen für andere sichtbar ist. Das Tragikomische ihrer Lage, die sich in dieser Szene spontan zeigte, diente als Ansporn, sich als Clownin weiter auszuprobieren. Ganz überracht war sie, als sie entdeckte, wie viel Lebensfreude und Lust auf Unsinn sie hatte. Einige Jahre später marschierte sie mit großem Elan in der Aufmachung von damals mit dem Zusatz einer roten Pudelmütze auf der Bühne hin und her, stellte sich dann hin und verkündete (erst auf die Beine, dann auf die Brust und dann auf den Kopf zeigend) mit großer Lebenslust und aus vollem Herzen:

"Do isch nix! Do isch nix! Un do is no nie ebbes gewäh!"

Auch hier erlebte sie große, lachende Zustimmung.

Die Wurzeln des Narren
Geschichte und Spiel des Augenblicks

Wie der Clown ist der Narr Ausdruck des Kerns eines Menschen, Ausdruck seines natürlichen, spielerischen Selbst, Ausdruck seiner Lebendigkeit und seines Bedürfnisses, lebendig zu leben. Diese Qualität nenne ich „die NULL“. Die Null ist die Grundqualität unseres DA-Seins, unserer Lebensenergie unserer Sinnhaftigkeit, körperlich, emotional und mental. Der Narr und der Clown drücken einen bestimmten, bewussten Umgang mit unserem DA-Sein aus, den wir Humor nennen. Der Narr wurzelt im Mythos. Er repräsentiert eine lebendige und ungebundene Kraft, die jede menschliche Ordnung und jede Bequemlichkeit im Menschen schon durch seine Anwesenheit provoziert. Er ist wie das Lachen selbst, an nichts gebunden. Er setzt die Wahrheit vor das eigenen Leben. Das macht ihn unbestechlich, unberechenbar, frech, spielfreudig, frei und lebendig. Er ist ein Verbündeter und wird gleichzeitig gefürchtet.

Geschichtlich wie in Legenden hat er viele Formen angenommen: Till Eulenspiegel war fast eine moralische Instanz, der die braven Bürger in ihrem Geiz, in ihrer Macht und Dummheit entblößte. Mulla Nasruddin ist der weise Narr der arabisch-persischen Welt. Hans Wurst steht für den Depp, über den jeder lacht, weil er dümmer als der Dümmste ist. Tatsächlich sammelten die Könige im Mittelalter Schwachsinnige und entstellte Menschen als Unterhaltungsobjekte. Der Hofnarr wird oft zitiert. Es hat ihn wohl als Spaßmacher und Symbol eines weisen Spiegels gegenüber der Macht eines Königs gegeben. Seine Späße waren aber meistens auf Kosten der Hofleute. So überlebte er den König nur selten. Der Mythos des Narren aber zeigt seine Bedeutung – als Garant für lebendige Wahrheit, als Erinnerung an die Wirklichkeit.

Pierrot – der traurige Clown - und Harlekin – der schlaue Tölpel - haben in Frankreich und in Italien eine lange Tradition. Der Zirkusclown, der mit der roten Nase entstand im 18. Jahrhundert als Pausenclown. Er ist auch bei Shakespeare als hintergründige, närrische Figur, manchmal eine derbe, manchmal fast heilige Gestalt. Dazu kommen die unzähligen Narren und Schelme, durch deren Ausschweifungen die Ordnung an die Toleranzgrenzen gebracht wurde. Selbst die Kirche erkannte, wie notwendig es sei, dem Volk eine Zeit des Tabubruchs einzuräumen. Gewählt wurde die traditionelle Zeit der Austreibung böser Geister, die heutige Faschingszeit.

Nullen haben keine Macht. Sie wirken durch Anziehung, durch die Fähigkeit, die Menschen ihrer Zeit oder ihrer Kultur zum Lachen zu bringen. Sie stehen immer für die Gegenmacht. Ihre Mittel: Die Übertreibung und Untertreibung, die Parodie, die Körperlichkeit und das Spiel mit den heiligen Symbolen der Macht. Bei den amerikanischen Indianern ist dem Heyoka die Traurigkeit fremd. Er gilt als Heiler, Erzieher und Spieler, dem nichts heilig ist, denn die Krankheit entsteht aus Kummer und das heißt Festhalten am Alten. Dem Narren und dem Clown ist das Spiel des Augenblicks die Verbindung zum Wesen des Menschen und der Freude.

Ähnlich wie im Hinduismus das Lila, ist das Leben ein Spiel, das den Ernst einschließt und nicht umgekehrt. Der Weg des Narren heißt für David Gilmore Mut zum Menschsein, die Stimme des Herzens zu hören, dem Leben der eigenen ursprünglichen Natur ein Verbündeter zu sein.

Gibt es einen Unterschied zwischen dem Narren und dem Clown?

Geschichtlich und in der Praxis gibt es viele Varianten und Überschneidungen, dass es oft schwer fällt, zwischen den beiden „Figuren“ zu unterscheiden. Ich meine aber, dass es eine grundsätzliche Unterscheidung gibt, die zwei verschiedene, wenn miteinander verbundene menschliche Bedürfnisse betrifft, die den Narren vom Clown unterscheiden. Beide stehen für unsere ursprüngliche Natur, für die Schöpferkraft und die Spielkraft in uns, aus der das Lachen hervorgeht. Er ist die Null, der Nullpunkt in uns, jenseits unserer gelernten Rollen und Begrenzungen im Leben. Ein Augenblick der Fassungslosigkeit in uns, in dem wir uns wieder treu sind, identisch mit uns selbst. Hier fängt das authentische, befreiende Spiel an, Ausdruck unserer natürlichen Lebensfreude.

Der Narr stellt die Wahrheit, Wahrheitssuche und die Freiheit an höchste Stelle, ja vor sein eigenes Leben. Seine Frage ist: Was stimmt (hier) wirklich? Was ist wirklich? Und wer sagt das? Und wer bin ich, der das sagt? Es stellt durch sein Spiel grundsätzliche Fragen an unsere Ehrlichkeit und an die Ehrlichkeit derer, die behaupten, sie wüssten, was Wahrheit und was richtig, was falsch ist und wo die Grenzen zu ziehen sind. Er stellt die Absolutheit in Frage. Er bezieht sich auch auf den Intellekt und auf die Sinnfrage.

Der Clown ist der Spieler, der uns durch seine Spiele und Possen zum Lachen bringen will, damit wir zusammen sind, uns gut fühlen, Spaß haben, unsere Sorgen vergessen Wir verbinden ihn mit der roten Nase und mit der kindlichen Lust am Spiel. Das Lachen, das er erzeugen will, verbindet, erfreut und befreit. Er wirkt auf unsere Stimmung durch auf unsere Gefühle abgestelltes Spiel.

Der Narr lebt im Alltag, der Clown auf der Bühne oder in der Manege. Der Narr fällt im Alltag durch sein Verhalten, seinen Witz, durch sein „Scheitern“ oder „Anderssein“ auf. Er sticht oft durch seine Schläue, durch seinen Intellekt oder durch seine Bereitschaft mit Wahrheiten zu schockieren heraus. Der Clown hat die Aufgabe, Menschen zum Lachen zu bringen, sie durch sein Spiel zu erfreuen. Der Narr gilt oft als „verrückt“, der Clown als „Kindskopf“, der sich durch seine Kleidung zu erkennen gibt. Der Narr kann auch im Verborgenen wirken und widersprüchlich sein.

Der Narr und die Ordnung, der Ernst und das Spiel

Die Freiheit des Narren steht den Zwängen einer Ordnung entgegen. Ordnung ist notwendig, sowohl für den einzelnen Menschen als auch für die Gesellschaft, gleich welche. Wenn die Notwendigkeiten einer Ordnung dazu führt, sich selbst untreu zu werden, das eigene Wesen zu verraten, entsteht eine ganz andere Form von Unordnung. Diese Ordnung schafft ihr Gegenteil: Die Krankheit oder Gegenordnung.

In einer solchen Ordnung schaffen wir Masken, um unsere Verletzlichkeit zu schützen. Der Schutz trennt uns aber auch von unserem Selbst. Deshalb ist die Ordnung, die herrschende Mode, die übermäßige Betonung der Vernunft oder der Gefühle, die Sucht und die verschiedenen Formen des menschlichen Tun-als-ob das Material des Narren.

Im Inneren sind wir alle Narren, mit dem Leben verbunden. Nur im Alltag sind wir an Konzepte und an Überzeugungen gebunden. So sind wir eigentlich im Kerne gesund! Immer wieder an diesen Kern zu erinnern, ist eine wichtige Aufgabe des Narren und des Clowns. Druck und "Stress" entstehen aus den Forderungen unserer Umgebung, die auf uns Macht ausübt. Wir müssen uns anpassen. Auch die Rebellion, die Verweigerung ist eine Form der Anpassung, da sie an einen Gegner gebunden ist.

In der Welt ist es ein Wagnis, authentisch zu sein. Es ist ein Risiko, Menschen ohne Grund anzulächeln. Sich offensichtlich in der Öffentlichkeit zu freuen, wird als nicht "normal" angesehen. Hier wird das "Normalsein" mit dem Satz "die Welt ist eh Mühsal" gleichgesetzt und als Lebensregel hingestellt. Gleichzeitig gibt es Sätze wie: "Es soll niemand merken, wie es mir geht". Der Versuch, solche Gegensätze in die Wirklichkeit umzusetzen, schafft erst recht Mühsal.

Wer die "normale" Spaltung im Beruf kennt und täglich erlebt, hat auch mit den Folgen zu kämpfen. Der Kampf macht sie übrigens noch schlimmer. Wer Gerechtigkeit will, wird nicht Rechtsanwalt, wer Gesundheit nicht Arzt, wer Wissen nicht Lehrer. Was kann da der Weg sein, Erfüllung im Leben zu erfahren?

Ein Tor wird der genannt, der sich nicht an die normale Ordnung hält. So als Schimpfwort. Da der Narr eine andere Ordnung anerkennt, die natürliche Ordnung des Selbst, bleibt er mit sich identisch. Er entfremdet sich nicht. Dafür ist das Wagnis des „Narrensprungs“ notwendig, es zu wagen, den Weg des Herzens und der wahrhaftigen Null zu gehen.

Das Spiel des Clowns -  Der Clown als der große Spieler.

Er hängt nicht am Leben, doch lebt er es aus der Fülle. Er hat keine Angst davor, alles aus der Unmittelbarkeit und Unvoreingenommenheit eines Kindes anzuschauen und anzufassen. Er schreckt vor keinem Thema zurück und gibt sich dem Spiel des Augenblicks hin. Er zeigt liebevoll das menschliche Theater auf, indem er es im Spiel wiedergibt. Er besiegt die Angst, weil er keine Angst hat, seine Angst zu zeigen. Er ist unberechenbar, sucht die Extreme vom Gebrüll bis zum leisesten Geflüster und im nächsten Moment ist er wieder ganz anders.

Er lebt in seinem Körper in der absoluten Gegenwart, und nimmt mit allen Sinnen wahr, vor allem mit dem UNsinn. Trotz der größten Niederlage, bleibt er Sieger, ja er sorgt selbst für die eigenen Pannen und Katastrophen. Er stolpert und scheint völlig irre zu laufen, doch gerade sein Scheitern ist seine höchste Lust. Er sucht die Widersprüche und löst durch die Potenz seiner spielerischen Kraft befreites Lachen aus.

Was er in seinem Spiel tut, zielt darauf ab, die Menschen zum Lachen zu bringen, damit sie sich selbst spüren und von festgefahrenen Einstellungen und Konzepten loslassen. Er dreht die Rituale um oder übertreibt sie maßlos. Er tut alles, um die Selbstgefälligkeit und Vorurteile seiner Mitmenschen aufzudecken um mit Lachen zu heilen und zu ermutigen.

Er ist der unachtsame, heillose Fresssack, der ”Hanoclown” der Hopi-Indianer, der ohne Manieren und mit viel Genuss Wassermelone und was er sonst noch kriegen kann, in sich stopft. Er stolpert über die eigenen Füße. Er ist einfältig und naiv und posaunt seine Ängste und seine Meinung in die Welt hinaus.

Er ist der Ausdruck körperbetonter Lebendigkeit, - einer, der handelt. Einer, der auf seine Spontaneität und seine Liebe zum Extremen vertraut. Er kennt die Angst und geht auf sie zu. Er hat den Mut, fassungslos dazustehen und sucht in der Katastrophe die Lösung.

Er kann in die Welt der Anderen steigen, in ihre Verbohrtheiten und Verrücktheiten. Er mimt sie liebevoll und bringt selbst den Leidenden dazu, über das eigene Leid zu lachen.

Er bringt das Lachen und die Lebenslust und bringt die Menschen zum „Fließen“. Seine Würde, seinen Humor und deshalb sein Gleichgewicht aber verliert er nie.

Er tut alles, um die Selbstgefälligkeit und Vorurteile seiner Mitmenschen aufzudecken um mit Lachen zu heilen und zu ermutigen.

Das Scheitern als Chance

Viele Menschen haben gerade davor Angst, ein Versager zu sein. "Eine Null" zu sein, wäre im Beruf doch das Schlimmste, was einem passieren könnte. Doch aus unseren Ängsten entstehen feste Meinungen, Lebenseinstellungen, unverrückbare Grundsätze, die nur in der Welt der Vernunft Sinn machen. Die größten Schritte der Vernunft sind aber durch den Mut zur "Unvernunft" geschehen. Was in einem Zeitalter als unverrückbar galt, gilt heute oft als unhaltbar – umgekehrt aber auch. Narr und Clown schöpfen aus einer inneren Lebensfreude und Lebenslust. Die „Null“ akzeptiert die Grenzen des Lebens und des Todes, aber nicht die Grenzen und Borniertheiten des Menschen.

Der Narr grenzt nämlich die sogenannten dunklen Seiten, oft Schatten genannt, nicht aus, im Gegensatz zur Neigung von uns allen, das Ungeliebte oder Angstmachende auszuschließen. Der weise, wohlwollender, wissender Narr des Universums, in welcher Form auch immer, ist die Null, die der Angst entgegengeht. Das, wovor der brave Bürger aber auch der fahnen-schwingender Freiheitskämpfer zurückschreckt, ist für den Narren höchst spannend. Hier ist der Narr wie ein Kind: Unschuldig und gespannt, ohne Vorurteil. Der Narr interessiert sich nur fürs Wesentliche und der Clown in seinem Spiel bringt sich ständig in existentielle Nöte, nur um erleben, wie die Not wirklich ist und was Not tut.

Die größte Krankheit nach meiner Meinung ist die (Ver)Leugnung, schlicht, die Lüge. Auch Therapie ist im Grunde nichts anderes als eine Gelegenheit, die eigene Wahrheit vorbehaltlos aufrichtig und ehrlich zu äußern. Die falsche Treue, das Aufrechterhalten von erzwungenen Loyalitäten, führt zu größten inneren Spannungen. Dazu kommen die Einsamkeit, Langeweile und Sinnlosigkeit. Wenn wir davor flüchten, werden sie erst recht zu Ungeheuern, die uns bedrohen. Statt dessen könnten wir ganz einfach Kontakt knüpfen, jemand anlächeln oder andere zum Lachen bringen. Wenn wir unseren vermeintlichen Schwächen mit Liebe begegnen, können wir sogar Spaß an ihnen haben. Es braucht aber Mut zu diesem Sprung. Es ist ein Sprung des Herzens, der nicht gedacht, sondern nur gesprungen werden kann.

Der Narr und der Clown sind bereit, den eigenen Katastrophen und dem eigenen Schatten geradewegs ins Auge zu schauen. Das, was der Narr spiegelt, ist die Art, wie wir die Wahrheit leugnen. Er spiegelt unsere Masken, ob sie mit unserem Wesen übereinstimmen. Der Clown scheitert mit Hochgenuss. Er schafft seine Katastrophen ja selbst. Für viele mag es schon eine Katastrophe sein, dass andere merken, was man in Wirklichkeit denkt, wünscht oder tut. Genau das kehrt der Clown nach außen. Aber durch sein Spiel und seine eigene kreative Lebendigkeit, zeigt er uns einen Weg, den wir gehen können und einen freien Raum, den wir uns nehmen können.

Beide sind im Herzen mit dem Leben und dem Lebendigen verbunden und dem Leben verpflichtet. Wer mit dem Leben verbunden ist, muss auch ein Narr oder ein Clown sein.

Das Lachen und die Welt der Gegensätze

Die „Null“ hat den Sinn für die Widersprüche des Lebens, für das Paradoxe, für den Unsinn. Alles, was wir für sinnvoll halten, wird im Spiegel des Narren und im Spiel des Clowns erst einmal durch Spiel geprüft. Die inneren und äußeren Ordnungen, die jeder aufbaut und die ernst genommen werden wollen, sind nur Material für den Spiegel des Narren. "Sinn" und "Unsinn", "Normal" und "Nichtnormal" sind nur Konzepte, Gegensätze in unserem Denken, aber nicht in der Wirklichkeit. Das Leben besteht aus Gegensätzen, licht-dunkel, männlich-weiblich, Höhe – Tiefe. "Täter" und "Opfer" bedingen sich gegenseitig. Es gibt ein "Täterbewusstsein" und "ein Opferbewusstsein" – beide haben Angst und schwören den anderen hervor. Nur der Angst begegnen beide nicht. Wer die Widersprüche aufheben will, muss erst recht daran scheitern. Sie anzunehmen setzt eine innere Öffnung voraus, die zu einer unwiderstehlichen Heiterkeit führt.

Wir lachen über das Gegensätzliche, über das Unstimmige. Das Lachen löst die Spannung auf, die Gegensätze in uns erzeugen. Es kann das Gegensätzliche abwehren und ausschließen. Erst wenn wir merken, dass auch wir gegensätzlich und widersprüchlich sind, können wir aufhören, das Unmögliche von uns und anderen zu verlangen, nämlich, dass wir in irgend einer Weise perfekt sein sollten. Uns mit unserer Unperfektion, mit unseren „Fehlern“ und mit den „Fehlern“ Anderer anzufreunden, ist eine Voraussetzung für den wahren Humor. Über uns selbst zu lachen, eine befreiende Erfahrung, die uns Freiraum schafft und Luft zum Atmen.

Machtstreben, Gier und Dummheit (auch unter dem Deckmantel des Wissens), genauso aber unsere Harmoniesucht, Konfliktangst und Scheinheiligkeit, - unsere liebsten Einstellungen und Glaubenssätze - alles wird in Frage gestellt. Und wenn das Leben widergespiegelt wird, verliert das Bedrückende, Beschämende, Zwanghafte seine Macht und wir können neue Handlungsmöglichkeiten entdecken. Wir können neu entscheiden. Im wohlwollenden Lachen können Fassaden endlich fallen gelassen werden. Und das Lachen schafft eine neue gegenwärtige Beziehung zu den Menschen und zu der Welt in Wertschätzung der Existenz.

Die Null lebt dort, wo Widersprüche nebeneinander existieren können, wo es keine Katastrophen gibt, außer denen, die man selbst schafft. Wer das eigene alltägliche Theater zum Besten gibt, braucht keinen Spott befürchten, sondern entdeckt den wahren Humor.

Der Körper als Spiegel

Unsere Lebensspiele, unsere Lebenseinstellungen sind im Körper gespeichert, in unserer Art, uns zu bewegen, in der Haltung, in den Gewohnheiten, in der Stimme, in unserer Sprache und in unseren Gedankenmustern. Unsere besondere Art, Gefühle zu zeigen oder zu hemmen, zeigt sich ebenfalls im Körper.

Wenn wir an unseren Grenzen geraten, zeigt sich das durch Erröten, Ärger, Tränen, gestische und mimische Reaktionen und durch sonstige körperliche Regungen und Symptome. Solche Reaktionen verstärkt der Narr in seinem Spiel, polarisiert sie bis sie urplötzlich ins Gegenteil kippen oder bricht sie absichtlich. Er entdeckt die Lust, die in ihnen steckt. Er ist ganz das Gefühl oder die Haltung und erforscht die Geschichte, die in jeder Haltung, in jeder Geste steckt.

Den Spiegel blank zu polieren, heißt, sich durchlässig, flexibel zu machen, sich mit allen möglichen Rollen anzufreunden, gerade mit denen, die einem gegen den Strich gehen, ja sogar zuwider sind. Die ureigene Komik, der innere Clown ist gerade hier zu Hause.